Das haben wir doch schon immer so gemacht! …?


Wer kennt es nicht?! Olle Sprüche von Reitlehrern oder anderen „Profis“ in Anlehnung an das oben gezeigte Bild. Tatsächlich möchte ich genannte Personengruppen hier nicht über einen Kamm scheren, aber dennoch bin ich in den letzten Jahren mit einigen Leuten in Kontakt gekommen, die entweder sehr viele Jahre Erfahrung mit Pferden oder sogar eine fachliche Ausbildung in der Richtung hatten, aber dennoch solche Sätze von sich geben. Dabei sollte man doch meinen, die Dinge würden sich seit Jahren ändern?!

Sicher ist nicht alles schlecht oder falsch, was seit langer Zeit so gemacht wird, aber einiges ist doch mittlerweile überholt. Immer von links aufsteigen? So wie früher im Krieg, weil man den Säbel, der am Gürtel hing, nicht ins Pferd bohren wollte? Dass dabei das Gewicht vom Reiter immer auf derselben Seite am Pferd hängt und letzteres dadurch verschieden starke Muskeln ausbilden kann und man es reiterlich schwer(er) hat, das wieder auszugleichen – hat da mal jemand dran gedacht? Dass auch der Sattel in Mitleidenschaft gezogen wird, weil sich selbst das allerbeste Leder dehnt, wenn es immer an der gleichen Stelle belastet wird. Oder dass sich sogar der flexible Kunststoff-Sattelbaum verziehen kann… diese Aspekte sind doch nicht einfach zu vernachlässigen, oder? Nicht zuletzt sei die eingeschränkte Bewegungsfreiheit des Menschen erwähnt. Habt ihr Ungeübten mal versucht von rechts aufs Pferd zu krabbeln? Gar nicht so einfach, was?
Immer von links führen? Warum nicht auch mal von der anderen Seite? Dass die Gehirnhälften von Pferden nicht miteinander verbunden sind und man deshalb alles auf beiden Seiten gleichmäßig trainieren muss (nein, nicht nur Muskeln, sondern auch Eindrücke und Verhaltensweisen), ist inzwischen bekannt. Warum also nicht auch den Fakt üben, dass der Mensch auf beiden Seiten des Vierbeiners laufen kann? Mit Säbeln oder anderen langstieligen Gegenständen am Gürtel laufen doch die wenigsten Reiter heutzutage herum.

Andere Aussagen sollten individuell von Pferd zu Pferd betrachtet werden. Ob ein Pferd Hufeisen braucht oder besser in einer Box statt im Offenstall lebt, muss jeder Pferdebesitzer mit sich selbst und seinem Pferd ausmachen. Ich persönlich finde, dass alles auf die Bedürfnisse des Tieres zugeschnitten werden sollte. In meinem speziellen Fall – dem Western-Freizeitpferd namens Twister – reichen Hufschuhe für den Bedarfsfall völlig aus (genaues Erklärvideo HIER). Die Offenstallhaltung ist unerlässlich bei einem dauerhaften Lungenschaden. Andere Pferde wiederum, die vielleicht täglich viel leisten müssen, freuen sich sogar, wenn sie sich am Ende des Tages in einer separaten Box ausruhen können und nicht von Artgenossen gestresst werden. Jedoch ist nachgewiesen, dass das Bewegungs- und Herdentier „Pferd“ am ausgeglichensten und fröhlichsten ist, wenn diese beiden Grundbedürfnisse ausreichend befriedigt werden – und zwar so, dass das Tier frei entscheiden kann, wann und wie oft es Bewegung und Gesellschaft sucht. Damit meine ich, dass das nicht bei einem Ausritt mit ein paar Reiterfreunden abgefrühstückt werden kann.

Sätze wie „Ich longiere nur mit Ausbindern“ oder „Ins Futter gehört Getreide“ basieren auf tiefergreifenden Themen, mit denen sich einige Menschen über viele Jahre intensiv beschäftigen, um überhaupt kompetente Aussagen treffen zu können. Wie gesundes Training oder gesunde Fütterung auszusehen hat, das sind Wissenschaften für sich und die können nicht einfach von jedem x-beliebigen Menschen bewertet werden. Wichtig finde ich allerdings, dass man das Ziel „gesund“ nicht aus den Augen verlieren sollte. Da gehören Mais oder Rollkuren mit Sicherheit nicht dazu – auch darüber sind sich die meisten einig.

Letztendlich ist es immer noch der Mensch, der sich an die eigene Nase fassen und hier und da einige althergebrachte Aussagen hinterfragen sollte. Auch – oder gerade wenn! – man viele Jahre Erfahrung hat.