Das tragfähige Pferd

Die meisten guten Seminare, Vorträge, Bücher oder Kurse beginnen mit den Worten: „Das Pferd ist anatomisch nicht dafür gemacht, einen Reiter zu tragen.“
Dennoch möchten wir unsere Schätzchen aber sehr gerne reiten, uns den Wind um die Ohren peitschen lassen und das Gefühl gemeinsamer Freiheit genießen. Wie schaffen wir es also, den geliebten Vierbeiner nicht zu sehr mit uns zu belasten? Antwort: durch korrektes Training! … ok, das ist keine neue oder besonders tiefschürfende Erkenntnis. Aber was genau ist korrektes Training, um das Pferd tragfähig zu machen bzw. zu erhalten? Im folgenden Beitrag möchte ich meine persönlichen Erfahrungen und Lieblingsübungen beschreiben, die Twister nach seinen schweren Infekten und dem Sehnenschaden helfen, mich irgendwann wieder auf seinem Rücken (er-)tragen zu können.

Das Hauptziel ist, die tragenden Muskelgruppen des Pferderumpfes zu stärken und somit den den Rumpf nach oben zu arbeiten, damit die Muskeln bei Belastung (= Reitergewicht) das Gewicht abfedern können und nicht die ganze Wucht in die Beine (= Sehnen und Gelenke des Pferdes) geht. Den Pferderumpf bekommt man am besten nach oben, indem das zusammenhängende System von Brust-, Bauch- und Hinterhandmuskeln gestärkt wird. Letztere sollten auch genügend dehnbar sein, damit das Pferd einerseits gut unter seinen eigenen Schwerpunkt treten kann und andererseits die Rückenmuskulatur mit angehoben wird. Alle Übungen, die ich in diesem Artikel vorstelle, aktivieren, dehnen und/oder stärken eine oder mehrere der genannten Muskelgruppen.

Ich nutze in erster Linie die Bodenarbeit an der Longe und Doppellonge, um meinem Buben wieder fit zu bekommen. Daher zunächst ein paar Worte zum Equipment.
Ich bin der festen Überzeugung, dass man von Anfang an nur mit guter Ausrüstung auch gute Ergebnisse erzielen kann. Denn schlecht sitzende Kopfstücke oder Longiergurte verursachen schnell Stress, Verspannungen, Schmerzen und vor allem Frust beim Pferd. Wenn ich also beispielsweise denken würde „Ich nehme erstmal den billigen (= meist unpassenden) Longiergurt und schaue, wie es so läuft…“, dann hätte ich zwar Geld gespart, aber meinem Pferd nicht geholfen. Das Ergebnis wäre wahrscheinlich, dass ich von der ganzen Methodik nicht überzeugt bin und alles hinschmeiße, weil ich meine Ziele nicht erreiche. Gutes Equipment ist wichtig! Eine Auflistung meiner derzeitigen Ausrüstung für diese Arbeit mit dem Pferd findet ihr am Ende des Beitrages.

Übungen ohne besonderes Equipment

Reflex der Bauchmuskeln auslösen

Jeder Pferdebesitzer, der schon mal einen Osteopathen oder ähnliches an seinem Pferd hatte, kennt diesen Reflex. Man streicht in der Mitte des Bauches mit einem kleinen harten Gegenstand vorsichtig von hinten nach vorne entlang, bis das Pferd den Rücken aufwölbt. Ein netter Nebeneffekt ist, dass man sofort sehen kann, wie weit die Aufwölbung dem Pferd überhaupt möglich ist. Wie bei allen Dehnübungen sollte auch hier die Muskulatur bereits aufgewärmt sein. Ich mache das manchmal mehrfach am Tag, denn es ist eine extrem kurze Anwendung.

Bergziege

Um die Hinterhandmuskulatur (auch Hosenmuskulatur genannt) zu aktivieren und zu dehnen, muss das Pferd mit den Hinterhufen verhältnismäßig weit unter den Schwerpunkt treten. Im Stehen geht das am besten mit der Übung „Bergziege“, die mein Pferd jedoch noch nicht besonders gut beherrscht, weil es seine Muskeln schlicht nicht hergeben. Wir tasten uns nach und nach heran.

„Trippel Trappel“

Für diese Übung habe ich keinen offiziellen Namen gefunden, daher nenne ich sie „Trippel Trappel“. Das Pferd wird wenige Schritte geführt, dann angehalten und durch Touchieren dazu aufgefordert, das innere Hinterbein deutlich unter den Bauch zu ziehen. Dann geht es wieder einige Schritte normal vorwärts, um im Anschluss wieder das Bein anzuziehen. Wenn das gut klappt, kann die Übung fließender gestaltet werden, indem das Pferd aufgefordert wird, das Bein während der Vorwärts-Bewegung unter den Bauch zu ziehen und somit noch weiter vorn abzufußen. Allerdings sollte das Pferd nicht überfordert und das Anziehen des Beins nicht bei jedem Schritt verlangt werden. Ich gebe Twister immer drei bis vier Schritte „Pause“. Natürlich trainiere ich das auf beiden Seiten gleichmäßig.

Übungen am Kappzaum mit einfacher Longe

Warum überhaupt ein Kappzaum?

Wenn ich mein Pferd vernünftig in Stellung und Biegung longieren möchte, komme ich um einen Kappzaum nicht herum. Voraussetzung ist immer, dass der Zaum dem Pferd gut passt, keine Druckstellen erzeugt und nicht verrutscht. Durch die Befestigung der Longe oben auf der Nase, ist es für das Pferd schwieriger, sich im Genick zu verwerfen. Wenn ich eine Parade gebe, stellt es sich leichter in die richtige Position. Wenn ich im Gegensatz dazu ein Kopfstück wähle, an dem die Longe unten befestigt ist, ist das Verwerfen vorprogrammiert. Am besten erkennt man das in dieser Zeichnung:

Führen in Stellung

Gelernt habe ich das vor einigen Jahren bei Babette Teschen und ihrem Longenkurs, den ich live mit Twister besucht habe. Man steht zunächst seitlich neben dem Pferd auf Kopfhöhe. Eine Hand fasst am Kappzaum mittig direkt am Pferd an, die andere legt man hinter die Ohren seitlich an den Hals (etwa 3. Halswirbel). Die Hand am Zaum führt den Pferdekopf leicht nach innen, die andere Hand hält dagegen, sodass das Pferd eine korrekte Stellung zeigt. Wenn das Pferd diese Position im Stehen ruhig halten kann, geht man gemeinsam los. Das Pferd wird aufgefordert, die Stellung weiterhin zu halten, bis der Mensch nachgibt und das Pferd sich somit auch entspannen kann.

langsames Übertreten

Das Übertreten ist die erste Übung in Richtung Seitengänge. Dabei wird das Pferd aufgefordert, das innere Hinterbein mehr zur Körpermitte hin abzufußen (also nicht nur nach vorn). Erreichen kann man dies, indem man von hinten Energie ins Pferd bringt, es jedoch gleichzeitig an der Vorhand ausbremst, sodass als einzige Option das seitliche Ausweichen übrig bleibt. Wichtig ist, dass die Schritte langsam erfolgen und nicht eilig mit Schwung. Nur wenn das Pferd langsam die Muskeln an- und abspannt, werden sie gut beansprucht. Vorsicht, diese Übung kann schnell sehr anstrengend werden!
Wenn das Pferd das Übertreten im Schritt gut beherrscht, kann das auch im Trab abverlangt werden. Das innere Hinterbein wird dann vielleicht nicht unter die Körpermitte treten, aber dennoch sehr viel aktiver (übrigens auch unterm Reiter).

Tempiwechsel innerhalb der Gangart

Jedes Pferd hat in jeder Gangart sein individuelles Wohlfühltempo. Darüber hinaus kann es sowohl etwas langsamer als auch etwas schneller gearbeitet werden, sodass in jeder Gangart drei Tempi möglich sind. Wenn man es schafft, diese drei Geschwindigkeiten taktrein (!) gezielt abzufordern, ist das für das Pferd recht anstrengend und fördert die Muskelaktivität.

Übungen an der Doppellonge

Da Twister bereits seit Jahren sehr gut an der einfachen Longe läuft, traue ich uns die Arbeit an der Doppellonge zu. Dabei stehen wir allerdings noch ziemlich am Anfang.

Verschnallung

Abhängig von der Hand, auf der ich das Pferd arbeiten möchte führe ich die äußere Longe von hinten durch den untersten Ring am Longiergurt nach vorne zum Kopfstück. Die Longe selbst verläuft über den Rücken des Pferdes zu mir. Wenn eine Schabracke verwendet wird, ist der Reiz auf dem Pferderücken weniger stark, was besonders bei empfindlichen Pferden ratsam ist. Die innere Longe hingegen führe ich von vorne durch den Ring am Kopfstück (egal ob Sidepull-Ring oder Gebiss-Ring) nach hinten in den obersten Ring am Longiergurt. Die Longe selbst läuft dadurch gleitend durch den Ring am Kopfstück zu mir. Es entsteht – von oben betrachtet – ein Dreieck zwischen mir und dem Pferd.

Warum führe ich nicht beide Longen von hinten durch den Longiergurt nach vorne zum Kopfstück? Das würde zwar den Handwechsel deutlich erleichtern, weil man die Longen nicht umschnallen muss, jedoch kann ich mit der inneren Longe nicht so weich einwirken, wie mit der gleitenden Dreiecksverschnallung. Außerdem muss ich mich mit beiden Longen auf dieselbe Höhe am Longiergurt einigen, was mir weniger weiche Einwirkungsmöglichkeiten gibt.

Warum führe ich die äußere Longe nicht um die Hinterhand herum? Zum einen würde mein Pferd bei jedem Schritt durch die vor-zurück-Bewegung des äußeren Hinterbeins eine Parade am Kopfstück bekommen, was ich nicht kontrollieren kann. Zum anderen überzeugt mich die Aussage von Horst Becker, dass ich auf diese Art nicht den äußeren (Reiter-)Schenkel simulieren kann. Wenn die äußere Longe über den Rücken nach unten am Gurt entlang geführt wird, ist das genau die Position, an der der Schenkel des Reiters liegen sollte. Wenn ich hier die Longe annehme, kommt zuerst Druck auf diesen Bereich (Longe an der Seite des Pferdebauches), bevor das Signal am Kopf des Pferdes ankommt.

Warum führe ich die innere Longe nach oben an den Longiergurt? Weil das am ehesten der Hand des Reiters entspricht und so auch weniger Druck auf den Unterkiefer des Pferdes ausgeübt wird.

große Bögen im eigenen Tempo traben

Man glaubt es kaum, aber das Pferd in großen Bögen oder Geraden mit gutem Spannungsbogen in seinem eigenen Tempo traben zu lassen, aktiviert und stärkt ebenfalls wichtige Muskelgruppen! Insbesondere der Musculus serratus wird dabei angesprochen. In dieser schematischen Darstellung kann man sehr gut sehen, wie er dafür sorgt, dass der Rumpf des Pferdes angehoben wird. Der Muskel existiert beidseitig am Pferd und verläuft zwischen Schulterblatt und Rippenbogen. Daher ist es nicht ratsam, das Pferd zu stark zu biegen, da sonst dieser Muskel auf einer Seite zwischen den Knochen eingeklemmt wird und nicht mehr richtig arbeiten kann.

Galopp

Im Galopp muss das Pferd bei jedem Sprung die Bauchmuskeln an- und abspannen, was einen tollen Trainingserfolg nach sich zieht. Am stärksten ist dieser Effekt beim Angalopp, also können gerne öfter Übergänge gearbeitet werden. Jedoch gibt es auch hier eine Kleinigkeit zu beachten: der Galopp ist die einzige Gangart, in der das Pferd nicht unabhängig von der Fußfolge atmen kann. Jeder Galoppsprung entspricht einem Atemzug. Ein untrainiertes Pferd wird also schneller galoppieren, um somit mehr Sauerstoff in seinen Körper zu pumpen. Erst wenn es stark genug ist, kann es langsamer laufen und mit weniger Atemzügen auskommen. Mein Twister kann derzeit nur sehr wenig im Galopp gearbeitet werden, da seine Muskulatur insgesamt noch zu schwach ist und er Gefahr läuft, wieder einen Sehnenschaden (oder ähnliche Beinverletzungen) zu bekommen.

Tempiwechsel innerhalb der Gangart

Diese Übung kann sowohl an der einfachen Longe, als auch an der Doppellonge trainiert werden (genaueres siehe oben).

Schaukeln

Das Schaukeln kann in allen Gangarten gefordert werden, wobei man bei untrainierten Pferden am besten im Schritt anfangen sollte. Zunächst schickt man seinen Vierbeiner vorwärts, pariert dann sanft zum Halt durch, schickt das Pferd ins Rückwärts und schlussendlich – der entscheidende Punkt! – aus dem Rückwärts bestenfalls ohne Halt direkt wieder vorwärts. Durch die Rückwärts-Bewegung ist das Pferd in der Kruppe bereits abgesenkt und der Rücken sollte leicht aufgewölbt sein. Aus dieser Haltung heraus das Vorwärts zu verlangen, erfordert sehr gute Muskelkoordination. Fortgeschrittenere Pferde können aus dem Rückwärts direkt antraben, die Spezialisten auch galoppieren.

Trabstangen

Mit Stangen oder Schaumstoffbalken (letztere meist in blau und gelb erhältlich) fördert man vor allem die Koordination. Das Pferd sollte beim Darüberlaufen die Abstände einschätzen und sauber treten lernen, ohne die Materialien zu berühren. Dabei kann man gerne die Stangenabstände variabel gestalten, sobald das Pferd mit gleichmäßigen Abständen gut zurecht kommt. Dann wird es noch ein bisschen schwieriger.

Meine Ausrüstung

*unbezahlte Werbung*

Kappzaum – spanische Serreta von El Mosquero mit flachem Naseneisen und einem einzelnen Ring

Sidepull von Schutz Brothers
Alternativ könnt ihr auch einen Kappzaum mit seitlichen Ringen oder eine Trense mit Gebiss für die Doppellongenarbeit nutzen. Beim Gebiss unbedingt auf seitliche Anlehnung achten, also eine Schenkeltrense oder ein D-Ring-Gebiss verwenden.

Equilonge von Equimero

Doppellonge Pro Balance 2.0 von Equimero

Longiergurt von Passier (Design by Horst Becker)

Dressurgerte 1,10 m

Longierpeitsche 1,80 m

Handschuhe

Trainer, die mir bisher geholfen haben

Dr. Kristina Gerber

Jana Tumovec

Horst Becker